Wildhorn unter der Woche

Was für eine gute Idee: eine Hochtour bei diesem Wetter!
Der Aufstieg am ersten Tag von der Iffigenalp zur Wildhornhütte ist sehr schweisstreibend. Heinz bietet schon nach einer knappen Stunde eine Trinkpause im Schatten einer einsamen Lärche an. Das hilft, den letzten Teil des steilen Aufstiegs zum Iffigensee zu bewältigen. Im Durchgang über den Kamm vor dem See liegt noch Schnee, und ein frisches Lüftchen begrüsst uns. Im See schwimmen letzte Eis- und Schneereste wie Puzzlestücke im smaragdgrünen Wasser. Die frühe Alpenflora mit Enzian und leuchtend rotem Süssklee kontrastiert herrlich zum Wasser.
Auf dem Hüttenweg südlich des Sees queren wir einige Schneefelder, weiter oben werden sie dichter, überall fliesst Schmelzwasser, und im letzten Hang liegt eine dicke Schicht Lawinenschnee.
Nach knapp drei Stunden ist das heutige Tagesziel erreicht, und bis zum kühlen Bier gibt es für den Tourenleiter nur noch eine kleine Hürde: das Glas Begrüssungstee! Die meisten von uns geniessen dies aber, und alle fühlen sich willkommen bei David und Monika, dem Hüttenwartpaar mit ihrem freundlichen Hund Ben.
Auf der Terrasse wird es am Schatten rasch kühler, und was man sich im Unterland in diesen Tagen kaum vorstellen kann: wir montieren lange Hosen und Faserpelz!

Am nächsten Morgen gibt es um 05:15 Frühstück und letzte Anweisungen zur Ausrüstung: Wir lassen die Steigeisen in der Hütte und setzen auf Schneeschuhe, da der Hüttenwart berichtet, der Schnee sei bis zum Gipfel weich und zum Teil noch tief.
Wir starten um 06:00 bei etwa 16°C auf 2300m Höhe!
Der Aufstieg zum Chilchli führt über Moränenschutt und Schneefelder. Beim Einstieg auf den Tungelgletscher montieren wir Schneeschuhe und seilen in drei Dreierseilschaften an. Eine kleine technische Störung hält uns noch auf, die ausgeliehenen Schneeschuhe von Helene haben spröde Gummibänder und diese müssen mit Kabelbindern behelfsmässig ersetzt werden.
Wir werden auf dem Tungelgletscher rechts überholt von einer Skitourengängerin, es ist Monika von der Wildhornhütte, die den frühen Morgen nach unserm Frühstück für ihre Tour zum Hausgipfel nutzt.
Der Übergang vom Tungelgletscher auf den Wildhorngletscher auf etwas über 3000m wird ständig steiler, da die Eismasse schwindet. Wir überwinden ihn ohne Schneeschuhe und am kurzen Seil, eine Gelegenheit für mich, die Seilverkürzung wieder zu üben! Oben erwartet uns der Blick ins Wallis, vom markanten Bietschhorn über Dom, Weisshorn, Dent Blanche, Pigne d'Arolla und Grand Combin. Alle Gipfel sind in Dunst gehüllt, was ihnen ein noch magischeres Aussehen verleiht.
Der Wildhorngletscher ist erstaunlich lang, und die Sonne heizt nun schon kräftig, der Schnee ist schwer, aber gut zu gehen mit unsern Plattfüssen, die uns den Watschelgang der Pinguine aufzwingt.
Die letzten Meter gehen wir auf Fels ohne Schneeschuhe zum Gipfel, um 09:30 werden Gipfelküsse getauscht und Hände geschüttelt, ein wunderbares Gefühl: Der Gipfel ist bezwungen! Eine besondere Gratulation verdient Helene, die immer mal wieder mit ihren Schneeschuhen zu kämpfen hatte.
Trotz Dunst ist die Sicht grandios, auch der Mont Blanc ist jetzt in seinem Schleier zu erahnen.
Eine halbe Stunde gönnen wir uns bei diesen milden Verhältnissen auf dem Gipfel. Den Abstieg machen wir ungefähr entlang der Aufstiegsspur. Die Skitourengänger unter uns müssen sich den Gedanken an Ski verkneifen, es geht ja auch zu Fuss! In zwei Stunden erreichen wir wieder die Hütte. Wir verwöhnen uns mit Getränken und Monis Kuchen, packen die Rucksäcke neu und gehen an den Abstieg zur Iffigenalp, der gegen unten sehr heiss wird, und bei mir machen sich die 1000m Abstieg vom Wildhorn zur Hütte in den Oberschenkeln bemerkbar, immerhin nochmals 700 Höhenmeter!
Heinz hat uns ein fantastisches Tourenerlebnis ermöglicht, ein grosser Dank gebührt ihm. Auch den Autofahrern, Urs und Robi, und den Seilführern, neben Heinz auch Rolf und Urs, möchte ich herzlich danken.
Ruedi Hintermann

Fotos: Verena Keller, Urs Sandfuchs und Heinz Frei