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Gastlosen Überschreitung

Die ganz grossen Abenteuer beginnen bekanntlich mit einem Funken Ungewissheit – in unserem Fall war das die rechtzeitige Toureninfo, die am Vorabend kurz nach 18 Uhr eintrudelte. Perfektes Timing, um noch schnell den Rucksack zu packen, das Leben zu überdenken und die Stirnlampe zu suchen (Spoiler: wir brauchten sie nicht).

Tag 1: Einklettern in Charmey
Zur sanften Einstimmung steuerten wir den alten Sektor in Charmey an. Einige Routen bewegten sich gnädig in unserem Kletterbereich – andere wiederum erinnerten uns schmerzhaft daran, alt bedeutet definitiv nicht einfach.
Nach ausgedehntem Fingerstrecken und einem kleinen Ego-Realitätscheck machten wir uns auf Richtung Jaun-Bergbahnen.
Mit der Seilbahn ging’s entspannt Richtung Gastlosen. Das Rückfahrt - Ticket lösten wir nicht, es bestand die Möglichkeit am nächsten Tag die Talfahrt mit einem Monster Trotti unter die Räder zu nehmen. Unser Riecher war bezüglich Einfachticket, wie sich später herausstellte, so was von Gold richtig.
Von dort folgte ein 20-minütiger Fussmarsch zum Chalet Grat – so stand es zumindest im Tourenbericht. Aber wer kennt das Zitat von Einstein nicht: Zeit ist relativ, vor allem, wenn der Rucksack drückt, die Sonne knallt und der Weg lumpige 250m Höhenmeter beinhaltet. Aber hey – wer will schon zu früh ankommen?
Das Chalet Grat empfing uns mit einfacher Einrichtung und einem charmanten Gastgeber. Das Fondue war herrlich cremig und liess uns den minimalistischen Charme des nicht beheizten Zimmers schnell vergessen. Die Bettdecken? Dick genug, um sogar einen nordischen Winter zu überstehen – oder eine Nacht im Greyerzer Land im Mai. Und vom bequemen Kopfkissen träumen einige heute noch.
Vor dem Abendessen gab uns Markus unser Tourenleiter noch ein paar hilfreiche Tipps für den kommenden Klettertag.

Tag 2: Gastlosen Überquerung
Um sicherzustellen, dass wir am Abend noch voller Energie die Monster-Trottis geniessen und gleichzeitig dem meteorologischen Roulette ein Schnippchen schlagen konnten, starteten wir bereits um 5:15 Uhr mit dem Frühstück. Kaffee, Brot, leicht verschlafene Blicke – alles da.
Der Zustieg begann gemütlich abwärts, ging aber bald steinig steil aufwärts, mit müden Beinen und wachsendem Respekt vor der Tour. Am Wand- bzw. Gratfuss angekommen, formierte sich unsere 8-köpfige Truppe in vier 2er-Seilschaften. Markus, unser unerschütterlicher und sehr versierter Tourenleiter, stieg souverän voraus – gefolgt von drei motivierten, leicht nervösen Seilschaften mit einem gemeinsamen Ziel: Effizienz, denn das Trotti wartete nicht.
Klettern im Bereich 3 bis 5a klingt entspannt – fast nach Sonntagsplausch mit Felskontakt. Falsch gedacht.
Die Hakenabstände waren eher „so.so“ als beruhigend, und die schwierigen Passagen erinnerten eher an polierten Marmor als an rauen Kalk. Aber was wäre Klettern ohne Adrenalinkick?
Der Grat selbst ist ein Mix aus Mehrseillängen-Klettern, Gratwandern und Alpinem-Klettern am langen und kurzen Seil. Ein echter Cocktail aus Technik, Taktik und Trotti-Motivation.
Nach dem traditionellen Gipfelfoto ging es via Abseilstelle rund 50 Meter in die Tiefe. Der anschliessende Abstieg führte uns durch spannendes Gelände. Währenddessen dämmerte uns langsam, dass es mit der gemütlichen Trotti-Fahrt heute wohl nichts werden würde.
Und als ob das nicht schon schmerzhaft genug wäre, stellte sich kurz darauf heraus, dass auch die Bergbahn-Betriebszeiten herzlich wenig Verständnis für unser Klettertempo aufbrachten. Als der Regen einsetzte, verabschiedeten wir uns innerlich vom Bild des chilligen Sessellift-Finales. Statt dicker Gummischlappen und Rückenlehne hiess es erneut: Zustiegsschuhe an – Endgegner: Talweg.
Doch das Beste kam zum Schluss: Mit akkuratem Timing verpassten wir den Bus – auch nur 30 sec zu spät ist nach wie vor zu spät. Taktvoll ignorierte uns der Fahrer und fuhr pünktlich davon, während wir ihm freundlich-nass hinterherwunken.
Ein Bus später traten wir schliesslich die Heimreise an.

Fazit:
So nehmen wir von dieser Tour spannende, sehr schöne und herrlich unplanbare Momente mit.
Zeit ist relativ – und in diesem Fall hätte die Nacht auf Montag für uns alle ruhig ein paar Stunden mehr vertragen können.
Vielen herzlichen Dank Markus für die sehr schöne Tour.

Bericht: Reto
Fotos: alle