Vrenelis Gärtli unter der Woche

In freudiger Erwartung auf die zweitägige Hochtour in den Glarner Alpen trafen wir fünf Teilnehmerinnen und drei Teilnehmer uns um Viertel vor Neun Uhr am Brugger Bahnhof, wo Heinz Frei uns bereits erwartete. Er hatte uns am Vortag mitgeteilt, dass er am ersten Tag während des Aufstiegs zur Glärnischhütte den Regen in Kauf nehmen würde. Eigentlich hatte ich wegen der schlechten Wetterprognose mit einer Absage der Tour gerechnet, freute mich dann umso mehr über den positiven Durchführungsbescheid.
In Glarus wechselten wir um 11 Uhr vom Zug ins Postauto, das uns nach Klöntal-Platz führte. Hier erwartete uns bereits Roberte Alberio, ein Tessiner, der mit Heinz Frei befreundet ist, da beide fuer den SAC-Zentralvorstands in Bern arbeiten. Mit einem Oldtimer Militärfahrzeug (Pinzgauer) ging es dann mit ziemlich engen Platzverhältnissen und mit nicht sehr wohlriechenden Auspuffabgasen, die durch die offene Hintertür strömten, rasant den Berg hinauf bis zur Alp Chäseren (1'219m), wo wir uns im Restaurant verpflegen und die Regenbekleidung anzogen, denn inzwischen hatte der Regen eingesetzt.
Auf dem steilen Zickzack-Weg marschierten wir anschliessend im strömenden Regen bergauf. Plötzlich ertönte ein lauter Warnruf: «Achtung Salamander». Ein Hinweis, doch darauf zu achten, mit unseren Schuhen dem kleinen schwarzen Bergsalamander keinen Schaden zuzufügen der ebenfalls, wie wir, auf dem Weg in Richtung Glärnischhütte unterwegs war. Alle geschätzten 50 Meter erschallte nun der Warnruf «Achtung Salamander», wenn jemand erneut eines dieser kleinen Viecher auf dem Weg entdeckte.
Nach rund zwei Stunden erreichten wir ziemlich durchweicht die Glärnischhütte (1'990m), wo wir uns in einem kleinen Anbau für die Übernachtung einrichten konnten. Die 10 vorhandenen Matratzen reichten gerade aus, allen von unserer Gruppe eine Schlafgelegenheit zu geben. Besser gesagt eine Ruhegelegenheit, denn bekanntlich sind die SAC-Schlafräume nicht zum Schlafen gedacht, sondern nur zum Ruhen - ein kleiner, aber feiner Unterschied, der einem hilft, keine falschen Erwartungen zu hegen.
Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter beruhigt. Bei leichter Bewölkung begannen wir gleich oberhalb der Hütte mit dem Aufstieg. Der Weg führet uns an schmalen Felsbändern vorbei. Da mussten wir auf jeden Schritt achten, wegen der Nässe des Bodens bestand Rutschgefahr. Über eine lange Schottermoräne erreichten wir die Gletscherzunge des Glärnischgletschers, wo wir unsere Steigeisen montierten und anseilten. Am Horizont bildete eine Felskuppe unser Ziel bis zum ersten Marschhalt. Plötzlich blendete uns die Sonne, die über dem Gletscher aufging. Wir waren alle erleichtert, da wir nun sicher waren, dass uns nun beim Aufstieg keine Regengüsse mehr erwarteten. Gleich nach der Felskuppe mussten wir ca. 30 Meter tief senkrecht eine Felswand absteigen, wobei wir uns zusätzlich mit einem Karabiner an einer Kette sichern konnten.
Unten angekommen befanden wir uns auf dem Schwandergrat, den wir anschliessend alle problemlos hinter uns brachten. Wenn er mit Schnee bedeckt gewesen wäre, hätten wir uns bestimmt nicht so sicher gefühlt, wie jetzt, wo wir auf Kies laufen konnten. Nach einer kurzen Kraxelei im Felsen erreichten wir bald den Hauptgipfel (2'903 m). Der Tiefblick und das Panorama, das sich uns dort bot, waren gewaltig.
Für mich war es ein überwältigendes Gefühl, es geschafft zu habe, am Ziel eines langen gehegten Traums angekommen zu sein. Während meiner Kindheit am Zürichsee hatte ich immer wieder in der Ferne zum leuchtenden rechteckigen Schneefeld des Vrenelis Gärtli hinaufgeschaut und den Wunsch gehabt, es einmal von nahem sehen zu können. Nun war dieser lange gehegte Wunschtraum endlich erfüllt worden. Der Klimawandel hat leider heute vom einst mächtigen Firnfeld des Vrenelis Gärtli nur noch kleine Resten Schnee übriggelassen.
Am Schluss meines Berichtes habe ich noch die im Glarnerland überlieferte Sage des Vrenelis Gärtli angefügt, die erklärt, weshalb der Glärnischgipfel zu diesem Namen gekommen ist. Am Gipfelkreuz hängt deswegen tatsächlich ein kleiner kupferner Kessel, der an diese sagenhafte weibliche Gestalt aus dem Glarnerland erinnern soll.
Da wir zeitlich etwas in Verzug geraten waren, machten wir uns zügig auf den Abstieg. Die Kletterpartie am senkrechten Felsen bewältigten wir im Eiltempo und auch der Abstieg im weichen Gletscherfirm verlief problemlos und wir erreichten die Glärnischhütte frühzeitig, so dass wir uns noch etwas ausruhen und uns mit einem feinen Kuchen für den langen Abstieg zur Alp Chäseren stärken konnten. Von dort führte uns das Taxi direkt zum Bahnhof Glarus, wo wir nach kurzer Wartezeit in den Zug steigen konnten, der uns ohne Umsteigen nach Zürich brachte.
Heinz Frei hat uns allen mit seiner umsichtigen Planung der Hochtour und der immer sehr aufmerksamen Begleitung und Unterstützung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einem unvergesslichen Erlebnis verholfen. Er hat dafür von uns allen ein ganz grosses Dankeschön verdient!
Peter Hägler

«DS VRENELISGÄRTLI»(SAGE)
Von weitem ist die höchste Erhebung von Schwanden, der 2900 m hohe Berg «Vrenelisgärtli», sichtbar. Insbesondere das weisse, hell leuchtende Schneefeld ist von Zürich her gut erkennbar, und mancher auswärtige Glarner hat schon wehmütig hinaufgeschaut.
Zum Namen des Berges und zu diesem Schneefeld entstand folgende Glarner Sage in ursprünglicher Mundart:
«Es isch emal en übermüetigi Jumpfere gsii, de hät Vrine gheisse. De hät gmeint, si chäm zoberscht uffem mittlere Glärnisch e Garte mache. D'Lüüt händ si gwarnet und händ züenere gseit: ‹Me törf de Härrgott nüd versueche!› Si aber hät gseit: ‹Und ietz guuhn i ztratz ufe, sig's em Härrgott lieb oder leid.› Due ninnt de Jumpfere, es isch e bäumig starchs Meitli gsii, e grosses chüpferigs Sännechessi übere Chopf, as si nüd nass wärdi, wänn's chäm gu schniie. Wo si aber dobe gsii isch, hät's äso raass afuh fogge, as d Vrine ds Chessi vor Schweeri gar nümme hät chänne abzieh. Dr nass, schwäär Schnee hät das Meitli z'Bode truggt, und es isch ganz igschniit worde.
Me gsieht uffem mittlere Glärnisch ietz nuch vu wiit ummen e chliis viergeggets Schneefäld. D'Lüüt säged dem ds Vrenelisgärtli, wil de übermüetig Gärtneri drunder begrabe liit.»

Tourenbericht: Peter Haegler
Fotos: Daniele Suter, Roberto Alberio und Heinz Frei